Das Zeitparadoxon von Bus und Bahn: Längere Fahrten, mehr Zeit für mich

Ausruhen, nachdenken, arbeiten, surfen, lesen: Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist nicht nur klimafreundlich, sondern auch entspannt und produktiv. Wir gewinnen tatsächlich Zeit durch die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Eine Untersuchung des Institutes für Verkehrswesen der Universität für Bodenkultur belegt dies nun.

Brauchen Öffis mehr Zeit?

Fahrten mit Bus und Bahn dauern manchmal länger als mit dem Auto. Es entfällt zwar die Parkplatzsuche, aber Wege zur Haltestelle oder vom Bahnhof zum Ziel sowie Umsteigen kosten Zeit. Daher ist die Tür-zu-Tür-Geschwindigkeit bei Bus und Bahn mit durchschnittlich 24 km/h ein gutes Drittel langsamer als beim Auto mit 39 km/h. In der Stadt ist der Unterschied geringer, auf dem Land größer.

Verlorene Zeit, die nicht verloren ist

Verliert man in Bus und Bahn also Zeit? Je nachdem, aber eigentlich nicht: Die Reisezeit kann nämlich besser genutzt werden. Während sich neben dem aufmerksamen und sicheren Lenken eines Autos gerade noch Musikhören, Plaudern oder ein Telefonat per Freisprechanlage ausgeht, können in Bus und Bahn auch andere produktive, entspannende oder unterhaltsame Aktivitäten durchgeführt werden. Die Reisezeit wird dadurch besser genutzt.

Was tun wir nebenbei, wenn wir unterwegs sind?

Dieser Frage ging eine umfassende Mobilitätserhebung des Instituts für Verkehrswesen der Universität für Bodenkultur Wien als Zusatzerhebung zur Konsumerhebung der Statistik Austria 2019/20 nach. Die Befragten haben eine Woche lang alle ihre Wege und Aktivitäten in einem Tagebuch aufgezeichnet. Zu sämtlichen Wegen wurde erfasst, ob und wenn ja, welche Nebentätigkeiten dabei durchgeführt wurden. Die Netto-Stichprobe ist repräsentativ für Österreich, sie umfasst 908 Personen, die insgesamt 15.145 Wege dokumentierten..

Konkret wurde gefragt, was Österreicher:innen tun, wenn sie unterwegs sind. Auf etwa jedem zweiten Weg widmen sie sich einer Nebentätigkeit – umso öfter, je weniger sie aktiv auf den Verkehr achten müssen. Das gilt insbesondere für Fahrten mit Bus und Bahn.

Nicht nur die Häufigkeit der Nebentätigkeiten unterscheidet sich in Abhängigkeit vom gewählten Verkehrsmittel, sondern auch die Art der Nebentätigkeit: Beim Lenken eines Autos wird nebenher Musik gehört und sich unterhalten, dagegen ist die Zeitnutzung im ÖV vielfältiger: lesen, E-Mails schreiben, im Internet surfen oder arbeiten – zusätzlich zu den Aktivitäten, die auch in einem Auto möglich sind.

Verschiedene Aktivitäten sind beim Lenken eines Autos nicht möglich oder ratsam. Die Befragung ergab, dass auch Mitfahrende solche Nebentätigkeiten im Auto kaum durchführen. Das kann aus Höflichkeit der Fahrer:in gegenüber sein oder weil das Fahren im Auto keine guten Voraussetzungen bietet, um sich auf anspruchsvolle Nebentätigkeiten zu konzentrieren. Ganz anders sieht es in Bus und vor allem der Bahn aus.

Welche Unterschiede gibt es bei den Öffis?

Schaut man sich verschiedene Öffis wie Zug und Tram/U-/S-Bahn genauer an, zeigt sich, dass wir vor allem bei längeren Zugfahrten deutlich häufiger die Reisezeit zum Arbeiten und Schlafen bzw. Entspannen nutzen als im Gesamtschnitt (1,5 Prozent bzw. 1,0 Prozent). Für Zugfahrten mit Start oder Ziel am Arbeitsort sind die Werte mit 6,2 Prozent und 7,7 Prozent nochmals höher. Die Nutzung von mobilen Geräten wie Smartphones oder Tablets ist dagegen auf längeren Zugfahrten etwas geringer als auf kürzeren Zugstrecken oder in der Straßen-/U- und S-Bahn. Viele Menschen lesen auch Zeitungen, Zeitschriften und Bücher. Hier ist der Anteil bei allen schienengebundenen Öffis ähnlich, nur bei kürzeren Zugfahrten wird seltener gelesen.

Was bringt die Zukunft?

In der Zukunft wird man auch in autonomen Autos die Reisezeit besser nutzen können. Wenn der Computer die Fahraufgabe übernimmt, werden wir unsere Aufmerksamkeit auf andere Dinge richten können. Unklar ist allerdings, welche Aktivitäten wir dann in den autonomen Fahrzeugen durchführen werden. Werden wir damit sanft, wie auf Schienen reisen und problemlos lesen, arbeiten und schlafen können? Oder werden wir, wie derzeit die Pkw-Mitfahrer:innen, hauptsächlich Musik hören oder uns unterhalten?

Veröffentlicht am 01.03.2022