
Gastbeitrag
Die Klimakrise: Genug berichtet?
Was läuft gut und was weniger gut in der Klimaberichterstattung – und was braucht es, um das Thema angemessen abzubilden? Naz Küçüktekin, freie Journalistin und aktive Stimme im Netzwerk Klimajournalismus Österreich, beleuchtet in ihrem Kommentar aktuelle Entwicklungen und plädiert dafür, den Journalismus in Zeiten der Klimakrise neu zu denken.

Die Berichterstattung über die Klimakrise scheint an Bedeutung zu verlieren. Dabei wächst ihre Dringlichkeit jeden Tag. Dass das Thema auch abseits großer Konferenzen, Katastrophen oder Proteste präsent bleibt, liegt in der Verantwortung des Journalismus.
Die Klimakrise ist da. Und sie schreitet voran – mit jedem Hitzetag, jeder Überflutung, jedem Dürresommer, jedem Misserfolg bei Klimaverhandlungen. Gleichzeitig verdichten sich die wissenschaftlichen Warnungen, dass die Zeit zum Handeln knapp wird. Doch die mediale Berichterstattung über das Klima bleibt wechselhaft. Mal ist sie laut, mal kaum hörbar. Mal prominent, mal tief vergraben im Nachrichtenfluss. Die Klimakrise ist ein Dauerzustand – aber wird sie auch als solcher behandelt? Jein.
Die Beziehung der Medien zur Klima- und Biodiversitätskrise ist – gelinde gesagt – kompliziert. In den letzten Jahren hat sie sich definitiv verbessert. Immer mehr Medien gingen dazu über, dem menschengemachten Klimawandel eigene Formate zu widmen – Klimaseiten, Podcasts und Kolumnen wurden entwickelt. Globale Klimabewegungen wie Fridays for Future schienen öffentliche Debatten zu dominieren, und die Berichterstattung zur Klimakrise wurde zum Trend, den niemand auslassen wollte. Das Problem bei Trends: Sie kommen – und verschwinden meist ebenso schnell.
Wer die Klimakrise ernst nimmt, muss auch unbequeme Fragen stellen
Neue Zahlen zeigen, dass die Klimaberichterstattung wieder rückläufig ist – und das weltweit. Laut Media Matters for America haben große US-Sender wie ABC, CBS, NBC und Fox im Jahr 2023 der Klimakrise rund 25 % weniger Sendezeit eingeräumt als im Jahr davor. Blickt man nach Österreich und auf die APA, die Nachrichtenagentur, die viele Medien des Landes mit Informationen beliefert, so ging die Berichterstattung 2023 gegenüber dem Vorjahr um 20 % zurück. In Tageszeitungen, Online-Medien und Fernsehsendungen nimmt die Klimathematik wieder ab – obwohl sie dringender denn je ist. Wie kommt es dazu?
Die Klimakrise ist eine langsame Katastrophe – ohne klaren Anfang oder Ende. Ihre Ursachen sind komplex, ihre Folgen oft abstrakt, bis sie plötzlich eskalieren. Sie lässt sich schwer bebildern, schwer zuspitzen. Aufmerksamkeit bekommen deshalb eher Ereignisse, die sich punktuell ausmachen lassen – Extremwetter, Demonstrationen, neue Studien. Danach ebbt sie meist wieder ab. Und andere Themen drängen vor, Redaktionen müssen priorisieren. Krieg, Inflation, Energiepreise, Migration – gegen diese „Breaking News“ muss das Klima antreten. Wer in einer Redaktionssitzung beim Besprechen eines Klimathemas noch nie ein „Aber dazu hatten wir doch letztens schon etwas“ gehört hat, werfe den ersten Stein.
Doch genau das ist der Punkt: Die Klimakrise ist nicht nur ein Thema unter vielen. Sie ist der Hintergrund, vor dem all das passiert. Das heißt aber ebenfalls: Wer sie ernst nimmt, muss auch unbequeme Fragen stellen – über Lebensstile, Wirtschaftssysteme, politische Verantwortung.
Ein weiteres Problem: Es fehlt oft an Klimakompetenz. In vielen Redaktionen gibt es oft weder Klimaressorts noch ausreichend spezialisierte Journalist:innen. Oft fehlt auch das Bewusstsein in Chefredaktionen, dass Klimathemen in allen Ressorts mitgedacht werden müssen. Dabei wäre genau das gefragt: Klima ist auch ein Wirtschafts-, Innen-, Außen-, Gesundheits-, Kultur- und Gesellschaftsthema. Es muss überall mitgedacht werden.
Die Klimakrise muss als Kontext mitgedacht werden.
Guter Klimajournalismus reagiert nicht nur – er ordnet ein. Er erklärt und stellt Zusammenhänge her. Er fragt, wer betroffen ist – und wer profitiert. Er zeigt Handlungsspielräume auf und benennt Verantwortlichkeiten. Und er kann mehr als nur Krisenstimmung verbreiten. Er kann Lösungen sichtbar machen, Alternativen aufzeigen, Perspektiven eröffnen – nicht als „Good News“-Beilage, sondern als Teil substantieller Berichterstattung.
Wenn etwa über steigende Lebensmittelpreise berichtet wird, sollte auch die Rolle klimabedingter Ernteausfälle mitgedacht werden. Oder wenn es um die Gesundheit geht: Längere Hitzewellen und Pollensaisonen treffen nicht alle gleich – insbesondere ältere Menschen, Kinder und Personen mit Vorerkrankungen sind stärker betroffen und fordern das Gesundheitssystem neu heraus. Klimaberichterstattung beginnt oft nicht bei neuen Studien – sondern bei Alltagsfragen, deren Ursachen tiefer liegen.
Was es dafür braucht, hat das Netzwerk Klimajournalismus Österreich in seinem Klima-Kodex formuliert. Der Kodex nennt fünf Leitlinien für fundierte, auf überprüfbaren Fakten basierte und konstruktive Klimaberichterstattung: keine falsche Ausgewogenheit. Präzise Sprache. Trennung von Nachricht und Meinung. Keine Dramatisierung – aber auch kein Relativieren. Und: eine strukturelle Verankerung des Themas in den Redaktionen. Medien wie APA, DATUM, die „Wiener Zeitung“ oder „Heute“ haben den Kodex bereits unterzeichnet. Ein Signal, dass sich etwas bewegt – und auch ein Auftrag.
Denn es braucht mehr als punktuelle Aufmerksamkeit. Es braucht Klimaberichterstattung, die ressortübergreifend gedacht wird. Die nicht nur alarmiert, sondern auch erklärt, die Menschen zeigt, die betroffen sind – und solche, die handeln, die Räume öffnet für Debatten, Visionen und Kritik, die sich nicht mit "mehr Berichterstattung" begnügt, sondern überlegt, wie wir anders berichten können.
Wurde also genug berichtet? Vielleicht. Aber noch lange nicht genug verankert. Die Klimakrise darf nicht bloß ein Thema unter anderen sein – sie muss als Kontext mitgedacht werden. Denn egal, worüber wir berichten: Das Klima liest mit.
Zur Autorin:
Naz Küçüktekin ist seit 2018 im Journalismus tätig. Seither sammelte sie Erfahrungen in zahlreichen Redaktionen, schrieb für Profil und Biber und baute bei der Tageszeitung Kurier das Ressort „Mehr Platz" mit auf. Seit 2023 arbeitet sie als freie Journalistin. Zu ihren thematischen Steckenpferden zählen migrantische Lebensrealitäten sowie die Klima- und Biodiversitätskrise. Sie ist Organisationsmitglied des Netzwerks Klimajournalismus Österreich, einer medienübergreifenden Initiative, die sich für fundierte und konstruktive Klimaberichterstattung einsetzt. Der im Oktober 2020 gegründete gemeinnützige Verein vereint inzwischen über 70 Mitglieder und entwickelt gemeinsam mit Partner:innen und Medien den „Klima-Kodex“ sowie die „Klimacharta“, um den Journalismus klimafit zu machen.