Neubau Universitätsgebäude TÜWI, Wien

Die Universität für Bodenkultur (BOKU) ist Österreichs am stärksten wachsende Universität und eine der wichtigsten interdisziplinären Lehr- und Forschungsstätten auf dem Gebiet der Naturwissenschaften, Technik und Wirtschaftswissenschaften. Diese Kompetenzen unterstreicht ihre jüngste Erweiterung in Wien-Währing.

  • Bauherrschaft: BIG Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H.
  • Architektur: Baumschlager Hutter Partners
  • Fachplanung: Buschina Partner ZT GmbH (Statik, Bauphysik), HL Technik Engineering, ppg blueberg control (Haustechnik), BOKU Arbeitsgruppe Ressourcenorientiertes Bauen (Nachhaltigkeitsberatung), rajek barosch landschaftsarchitektur

Ein begrünter Vorgarten und zahlreiche Fahrradabstellplätze vor dem Haus, ein Gastgarten zu ebener Erde auf der einen Seite, einer im abgesenkten Hof auf der anderen und ein lauschiger Dachgarten mit Sitzgelegenheit unter einer Pergola: In einigen Details wirkt das neue Gebäude der BOKU wie ein moderner Ausflugsgasthof und schließt damit an eine über hundertjährige Geschichte an. „Türkenwirtgebäude“ wird es nach seinem Vorgängerbau, einem bekannten Restaurant mit Hotelbetrieb genannt. Ab Mitte der 1980er-Jahre diente es der BOKU als Standorterweiterung. Zu einem legendären Hort widerständiger studentischer Kultur entwickelte sich das in studentischer Selbstverwaltung geführte TÜWI-Beisl. 2016 erfolgte der Abriss des Gründerzeitbaus, begleitet von Protesten. Der Bedarf an räumlicher Infrastruktur war nicht unterzubringen und eine Sanierung mit wirtschaftlich vertretbaren Mitteln nicht möglich.

Zwei Jahre später war das neue TÜWI-Gebäude, geplant vom Architekturbüro Baumschlager Hutter Partners, fertig. Neben einem neuen TÜWI-Beisl samt Hofladen beherbergt es drei Institute, einen Hörsaal für 400 Studierende, eine Mensa, die Räumlichkeiten der Hochschülerschaft, Platz für die Mineralien- und Gesteinssammlungen, differenzierte Aufenthaltsbereiche im Freien, sogar eine Fahrradwerkstatt und eine Elektrotankstelle für zwölf Fahrräder. Dieses umfangreiche Raumprogramm ist dem Neubau, dessen überirdisches Volumen sich an der Bebauungsstruktur der Umgebung orientiert, von außen nicht anzusehen. Das Architekturteam nutzte die mögliche Bauhöhe nicht aus, sondern verlegte ungefähr die Hälfte der Nutzfläche in den Untergrund. Neben städtebaulichen Überlegungen liegt dieser Entscheidung auch der Ansatz einer energieeffizienten Architektur zugrunde. Denn Räume, die von Erde umgeben sind, benötigen kaum Energie zur Heizung und Kühlung – hier naheliegenderweise vor allem der größte und ohne Tageslicht auskommende Raum, der Hörsaal. Sollte eines Tages eine Erweiterung nach oben notwendig sein, so lässt der vorläufige Verzicht auf ein Staffelgeschoß dies zu.

Diagonal unter dem Grundstück verläuft der Große Türkenschanztunnel der Wiener Vorortelinie. Umfangreiche Untersuchungen und Sicherungsmaßnahmen waren notwendig, um das 1898 errichtete Verkehrsbauwerk nicht durch Erschütterungen zu beeinträchtigen und im schlimmsten Fall eine hochfrequentierte Schnellbahnstrecke außer Betrieb zu setzen. Gesellschaft im Untergrund leisten dem Tunnel nun 14 Geothermiesonden, die über eine Wärmepumpe die Erdwärme für Heizung und Kühlung bereitstellen. Außer in Form angenehm temperierter Räume ist im Gebäude von all dem unterirdischen Aufwand nichts zu spüren, und dank einer elastisch gelagerten und 85 Zentimeter starken Fundamentplatte sind keinerlei Erschütterungen durch den Zugverkehr merkbar.

Gutes Zusammenwirken

Es ist eine freundliche Clubatmosphäre, die die Besucherinnen und Besucher empfängt. Dazu tragen die Materialität des Gebäudes und der enge Bezug vieler Innenräume zu den von rajek barosch gestalteten Außenräumen ebenso bei wie die Tatsache, dass hier Forschung, Lehre und studentisches Leben in enger, familiärer Nachbarschaft stattfinden. Intensiv waren die Nutzenden in die Projektentwicklung eingebunden und konnten ihre Expertise in Fragen der Nachhaltigkeit einbringen. Der Lohn für die Anstrengungen vieler Beteiligter: Für die „Förderung interaktiver Zusammenarbeit und Lernens zwischen Studierenden und Lehrenden“, so lautet der Vereinszweck des studentischen TÜWI-Vereins, schafft der Neubau einen exzellenten Rahmen.

Konstruktiv handelt es sich um einen Stahlbetonskelettbau mit Holzelementfassade, bei dem der Stahlbeton gezielt dort zum Einsatz kam, wo er aus statischen Gründen oder als Speichermasse für die Bauteilaktivierung vonnöten ist. Einheitlich umhüllt ihn ein für optische Feingliedrigkeit sorgendes Kleid aus vertikalen Lärchenholz-Lamellen. Durch seine Lage im Untergeschoß kann das Lokal des TÜWI-Vereins autonom betrieben werden. Der vorgelagerte Hof sorgt für ausreichend Tageslicht und einen geborgenen Freiraum. Licht in die Tiefe der Mensa bringt ein begrünter, gebäudehoher Luftraum, der die Essensausgabe in Szene setzt. Eine Doppelnutzung erhielt ein Teil der Photovoltaik als Überdachung der Pergola auf der Dachterrasse. Die Tapezierung aus Wollfilz im Hörsaal hat sowohl akustisch wie auch in Kombination mit unbehandeltem geschliffenem Eichenholz atmosphärisch positive Wirkungen. Beginnend bei Rohstoffgewinnung und Herstellung der Baumaterialien über Errichtung, Betrieb, Instandhaltung  bis  hin zu Abriss und Entsorgung wurden die Effekte des Gebäudes – natürlich auch hinsichtlich der Kosten – über den gesamten Lebenszyklus betrachtet. „Alma Mater Viridis“ – grüne Nährmutter nannte sich die BOKU schon, als sie noch eine kleine Agrarhochschule war. Heute, mit über 11.000 Studierenden, versteht sie sich als Lehr- und Forschungsstätte für erneuerbare Ressourcen und  Impulsgeberin  für Ideen und Strategien zur nachhaltigen Entwicklung in der Gesellschaft. Mit dem Neubau ist es gelungen, dieses Motto glaubwürdig zu verkörpern.

Fakten

  • Gebäudetyp: Neubau eines Bildungsgebäudes
  • Fertigstellung: 2018
  • Konditionierte BGF: 4.845 m²
  • Energiekennzahlen (nach OIB 2015):
    Heizwärmebedarf 19,25 kWh/m²BGFa höhenkorrigiert
    Primärenergiebedarf 103,02 kWh/m²BGFa

    CO2-Emissionen 14,87 kg/m²BGFa
  • Versorgungstechnik: Geothermie, Solarthermie für Warmwasserbereitung, Betonkernaktivierung, Deckenkühlung, energieeffiziente Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung, Photovoltaik mit 53 kWpeak Spitzenlast
  • Besonderes: PV-Dachgarten mit Pergola-ähnlicher begrünter Konstruktion und semitransparenten PV-Modulen am Dach als Aufenthaltsbereich und Lernzone, Steingarten als Freiluft-Arbeitsraum
  • Baustoffe: Massivbau und Holzfassade, PVC-freie Baustoffe, umfassendes Produktmanagement
  • Qualitätssicherung: Blower Door Test, Energieverbrauchsmonitoring, Messung der Innenraumluftqualität
  • Gebäudebewertung: klimaaktiv Gold, ÖGNI-Zertifizierung Platin
Veröffentlicht am 30.09.2019