Ensemble am Hannah-Arendt-Park, Wien

Die Seestadt Aspern entpuppt sich zusehends als attraktiver Ort zum Leben, an dem vieles richtig gemacht wird. Im Fokus des Staatspreises liegt das Quartier um den Hannah-Arendt-Park aus der ersten Bau- und Besiedelungsphase.

  • Bauherrschaft: Wien 3420 Aspern Development AG
  • Stadtplanung: Tovatt Architects & Planners AB
  • Architektur: D9: AllesWirdGut Architektur ZT GmbH, D10: Tovatt Architects & Planners, D13A: baldassion architektur, D13B: wup_wimmerundpartner, D13C: pos Architekten ZT GmbH, D13D: Arch. Franz Kuzmich, D13E: einszueins architektur ZT GmbH, D14: königlarch architekten, D18A: ZT Arquitectos/ Zinterl Architekten, D18B: fasch & fuchs ZT GmbH
  • Landschaftsplanung: YEWO LANDSCAPES GmbH

Von der Terrasse des italienischen Restaurants am Eck lässt sich das Treiben am Platz gut beobachten: schräg gegenüber die schicke Bäckerei mit Café, an der anderen Ecke eine Apotheke, dann noch Drogerie, Trafik, Frisör, Supermarkt und einiges mehr. Jeden Freitag ist Markttag mit Produkten aus dem nahen Burgenland, jeden Herbst findet ein großes Straßenfest statt und zwischendurch ein buntes Programm für Jung und Alt. Sieht so eine Schlafstadt aus?

Vor zwölf Jahren wurde der Masterplan von Johannes  Tovatt  beschlossen, bald darauf folgte die „Partitur des öffentlichen Raums“ von Jan Gehl, ein Planungshandbuch, das den Geist der Seestadt transportiert. Eine Selbstverständlichkeit sind gut vorbereitete Wettbewerbe mit internationaler Beteiligung für die Gestaltung der verschiedenen Parks, Plätze und Freiräume und die Vergabe der Liegenschaften nach standardisierten Qualitätssicherungsverfahren. Lange bevor das erste Haus gebaut  war, entwickelte sich die Seestadt zu einem Schauplatz zahlreicher kultureller Aktivitäten. Sie brachten den neuen Stadtteil, der bis 2030 zur Heimat von mehr als 20.000 Menschen werden und annähernd so viele Arbeitsplätze anbieten wird, im Zusammenspiel mit einer umfangreichen Öffentlichkeitsarbeit ins Bewusstsein der Bevölkerung. Zu den ersten Seestadt-Pionierinnen und -Pionieren 2014 zählen die Bewohnerinnen und Bewohner der von Baugruppen auf einem Baufeld am Park errichteten Häuser. Auch sie lieferten wertvolle Impulse zur Entwicklung einer Stadtteilkultur.

Lernendes System

Bauen und warten, wer kommt, war nie die Devise der Entwicklungsgesellschaft. Die Wien 3420 aspern Development AG betreibt ein sehr aktives und vorausschauendes Qualitätsmanagement, das alle Bereiche einer nachhaltigen Stadtentwicklung berücksichtigt. Dabei ist nicht in Stein gemeißelt, was vor über einem Jahrzehnt festgeschrieben wurde. Man versteht die Seestadt als lernendes System, das es zulässt, aus Fehlern zu lernen, Prozesse zu optimieren sowie Regeln und inhaltliche Programmatik in weiteren Entwicklungsphasen zu schärfen. Dabei unterstützt die Gesellschaft ein interdisziplinär besetzter Beirat. Allen in der Seestadt Wohnenden und Agierenden steht das zentral am Hannah-Arendt-Platz angesiedelte Stadtteilmanagement mit Rat und Tat zu Seite und setzt zahlreiche Initiativen, die der Entwicklung einer gedeihlichen Nachbarschaft dienlich sind.

Nomen est omen

Die Unkenrufe sind weitgehend verstummt, denn man hat in der Seestadt vieles richtig gemacht – auch um öffentliche Räume als Orte gesellschaftlicher Integration zu schaffen, in denen sich die Vielfalt der Stadtgesellschaft abbilden kann. Die Benennung der Straßennamen nach Frauen ist ein Detail, aber womöglich ein wirkmächtigeres als das heute vielbeschworene Bild von der „europäischen Stadt“. Dass exakt der Platzraum, um den das öffentliche Leben am vielschichtigsten sichtbar ist, nach Hannah Arendt, der – auch zu Fragen des privaten und öffentlichen Raums – großen Denkerin und Theoretikerin benannt wurde, ist eine schöne Koinzidenz.

Stadt entsteht und wächst nicht von allein, zumindest nicht so, dass dabei das Wohl möglichst Vieler gleichberechtigt im Fokus steht. Dazu braucht es interdisziplinäre und vorausdenkende Planung, im Sinne der Gemeinschaft aber auch einer ökologischeren Zukunft. Mit einem Bio-Markt und einem schönen Park allein ist es nicht getan. Unterschiedliche Organisationsformen von Wohnen, ausreichend soziale Infrastruktur, hohe Erdgeschoßzonen, in denen viele Nutzungsszenarien möglich sind, und wohlüberlegt gestaltete Übergänge zwischen privatem, gemeinschaftlichem und öffentlichem Raum zählen dazu ebenso wie das Haushalten mit Ressourcen. Einzelne Bauten im Quartier sind Teil eines Energieforschungsprogramms, das komplexe Zusammenhänge anhand realer Daten untersucht, um daraus Erkenntnisse für optimierte Energiekonzepte zu gewinnen und bei den beteiligten Haushalten auch Bewusstseinsbildung für ein nachhaltiges Nutzungsverhalten zu betreiben.

Autofrei mobil

Selten stört der Lärm eines privaten PKWs die Gespräche am Hannah-Arendt-Platz. Die Seestadt setzt auf umweltfreundliche Mobilität. Dauerhaftes Abstellen von Autos im öffentlichen Raum ist ein No-Go, so bleibt mehr Raum für Zu-Fuß- Gehende und Fahrrad-Fahrende. In kaum einer Landgemeinde können sich  Kinder  so  gefahrlos selbständig außerhalb des privaten Wohnumfeldes bewegen wie in der Seestadt, und sie machen reichlich davon Gebrauch. Natürlich ist die Seestadt nicht autofrei. Die Wege – so ist es angepeilt – sollen zu 40 Prozent per Rad, ebenso viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln und nur zu  20 Prozent mit dem Auto zurückgelegt werden. Die Anzahl der Parkplätze in Sammelgaragen beträgt zwischen 0,6 und 0,85 pro Wohneinheit; pro angefangener 30 Quadratmeter Wohnfläche ist ein überdachter, absperrbarer Fahrradabstellplatz zu errichten, dazu kommen zahlreiche Fahrradabstellplätze im öffentlichen Raum. Abgaben aus Garagenerrichtung und -betrieb speisen einen Mobilitätsfonds, der von einem Fahrradverleih, der auch E-Lastenräder anbietet, bis hin zu Einkaufstrolleys im Seestadt-Design bereits eine Reihe an Angeboten finanzierte, die den Seestädterinnen und Seestädtern das autofreie Leben erleichtern.

Fakten

  • Allgemein: Ensemble – erste Entwicklungsetappe von aspern Die Seestadt Wiens, Österreichs größtem Stadtentwicklungsgebiet
  • Fertigstellung: 2014 – 2017
  • Arealgröße: 61.008 m²
  • GFZ: 1,82
  • Konditionierte BGF: 110.868 m²
  • Nutzung: 762 Nutzungseinheiten; gezielt geplante durchmischte Nutzung: Wohnen 64% | Büro 3% | Gewerbe/Dienstleistung 2% | Verkauf/Gastronomie 4% | Beherbergung 1% | Bildung 26%
  • Versorgungstechnik: Fernwärme, Photovoltaik, Bauteilaktivierung, Solar- und Geothermie
  • Besonderes: wegen umfassenden Mobilitätskonzepts reduzierte Stellplatzverpflichtung, Grundstücksvergabe erfolgte nur mit standortspezifizierten Qualitätsvorgaben
  • Außenraum: sehr detaillierte Windströmungssimulationen, Vorgaben zur Dachbegrünung aus UVP, Reduktion versiegelter Flächen, offene Wasserflächen, Versickerungsflächen, lokales Regenwassermanagement
  • Qualitätssicherung: bereits umfassende Zufriedenheitserhebungen der Bewohnerinnen und Bewohner sowie detailliertes Energieverbrauchsmonitoring (u.a. Projekt der ASCR)
  • Gebäudestandard: Alle Gebäude entsprechen dem ÖGNB Standard (verpflichtend), rund 50% klimaaktiv Bronze, etwa 20% klimaaktiv Gold bzw. Silber
Veröffentlicht am 30.09.2019