Stimmen aus der Praxis: Silbertal

Konkrete Umsetzungsprojekte können nur mit lokalen Partnern realisiert werden. Welche Herausforderungen gibt es dabei in der Praxis? Was sind wichtige Erfolgsfaktoren? Wen muss man einbinden? Lesen Sie in folgendem Interview mit Herrn Bürgermeister Thomas Zudrell und Christoph Breuer (Kairos OG) die Erfolgsgeschichte der Vorarlberger Gemeinde Silbertal.

Herr Zudrell, wie kommt es, dass sich die Gemeinde Silbertal dazu entschlossen hat, erdölfrei zu werden?

Den Anstoß dazu gab die Österreichische Energieagentur, die auf der Suche nach einer Pilotregion für den Ölausstieg war und über eine Vertreterin im Österreichischen Hoteliersverband, Heike Ladurner aus Schruns, schließlich auf uns gekommen ist. Wir haben dann die Idee, als Pilotregion voranzuschreiten und als Pioniere Herausforderungen, die sowieso auf uns zukommen, proaktiv anzugehen in der Gemeindevertretung eingehend diskutiert und dann einstimmig beschlossen, uns auf dieses Experiment einzulassen. Das Projekt Ölausstieg ist ja mehrfaltig, hier kommen bei uns vor allem die zukünftige Mobilität für die Bewohner / Bewohnerinnen und Gäste, die alternative Wärmeenergieerzeugung und die Energiegewinnung von der Sonne in Betracht. Die Gemeinde Silbertal ist seit Jahren mit einem E-Mobil ausgestattet und soll bzw. hat die Pflicht hier auch eine Vorbildfunktion im Dorf einzunehmen.

Herr Breuer, mit Kairos OG sind Sie maßgeblich an der Gestaltung und Umsetzung von Missionzero-Maßnahmen beteiligt. Was ist für Sie neu am Projekt? Was ist besonders spannend?

Die Mission Zero im Silbertal ist ein Pionierprojekt bei dem die Akteuere und Unterstützer herausfinden wollen, warum was funktioniert, wie ein solcher Prozess an Dynamik gewinnen kann und auch wo die Grenzen des Machbaren sind. Die Zeit drängt und die globalen Herausforderungen sind riesig. Trotz Erderhitzung sollten wir aber kühlen Kopf bewahren, entschlossen anpacken aber nicht panisch alles auf den Kopf stellen. Das würde manche abschrecken und letztlich das Tempo des Gesamtprozesse eher verlangsamen. Diese Grenzen auszuloten und dabei mit allen Beteiligten Erfahrungen zu sammeln, das Erreichte zu reflektieren und gemeinsam zu lernen warum was funktioniert oder nicht funktioniert hat, finden wir neben der fachlich sauberen Arbeit, die sowieso Grundlage für alles ist, spannend.  

Herr Zudrell, wen haben Sie in das Projekt eingebunden und warum? Gab es anfangs Widerstände?

Widerstände wäre zu krass ausgedrückt. Aber eine gewisse Grundskepsis, was das für den und die Einzelne bedeuten kann war und ist nach wie vor vorhanden. Wir binden die Silbertalerinnen und Silbertaler so gut wir können ein: Es gibt hierzu eine Steuergruppe, die nicht politisch besetzt ist, regelmäßige Berichte in die Gemeindevertretung, Infoveranstaltungen, Sprechtage und viel direkten Kontakt sind hier maßgeblich.      

Können Sie beschreiben was bei Missionzero Silbertal besonders gut läuft und warum?

Zudrell: Besonders freut mich, dass es uns gut gelingt, die Gäste aber auch die Bevölkerung, einzubinden. Die Bevölkerung ist grundsätzlich sehr interessiert und möchte hier ihren Beitrag dazu leisten. Dazu Wir bereiten wir gerade einen Mission Zero-Schaukasten im Ort vor. Neben den Schaukasten-Inhalten werden wir auch dessen äußere Hülle bei der Gelegenheit etwas renovieren – ein netter Nebeneffekt für das Ortsbild.

Breuer: Es ist noch etwas früh Bilanz zu ziehen, weil vieles Aktivierungsenergie braucht bevor es in Fluss kommt. Die Dynamik ist aber sehr erfreulich, neben den üblichen Beratungsprodukten „Raus aus dem Öl“ und „Photovoltaik“ entstehen eine Reihe von neuen inhaltlichen Zugängen, die interessante Perspektiven für den Ölausstieg eröffnen. Die Ansätze sind vielversprechenden, wir werden sehen, was wir davon auf den Boden bringen können.

Herr Breuer, ist das Silbertal besonders gut für Missionzero geeignet oder kann jede beliebige Gemeinde ihre Missionzero betreiben?

Grundsätzlich kann, muss und wird das natürlich auch anderswo funktionieren. Es will aber nicht jede Gemeinde Pioniergemeinde sein: Das kann man zwar Neuland entdecken, das ist aber immer auch verbunden mit der Gefahr, in die ein oder andere Sackgasse zu geraten. Wichtig wird sein, aus diesen Erfahrungen – auch aus dem was nicht geglückt ist - zu lernen. 

Herr Zudrell, welche Ziele hat das Silbertal mittelfristig (nächsten 1-3 Jahre) beim Thema Missionzero? Wie wird dieser Weg bestritten werden?

Wir haben zur Zeit im Ort noch knapp 100 Ölkessel. In 3 Jahren könnte / sollte mindestens ein Drittel davon verschwunden sein, wenn alles gut geht. Dazu sind einige Photovoltaikprojekte bereits umgesetzt und einige in der Projektphase.  In der Mobilität können wir rascher erste Schritte setzen: Das E-Carsharing-Fahrzeug dreht bereits seine Runden und der elektrische Shuttlebus für die Abholung der Gäste, die mit der Bahn anreisen, ist bestellt und soll für den Winter bereit sein. Wir konzentrieren uns jetzt darauf, die bereits vorhandenen Mobilitätsoptionen besser zu nützen und neue, gemeinsam genutzte Angebote zu entwickeln. Preislich attraktive Elektro-Allradfahrzeug, wie sie viele von uns am Berg brauchen, sind aktuell noch nicht am Markt verfügbar. Aber auch da wird sich das Angebot sehr schnell entwickeln, da bin ich mir sicher. Und darauf bereiten uns wir uns schon vor.

Die gegenwärtige Corona-Krise ist für viele Unternehmen eine existenzielle Herausforderung. Kann Missionzero dazu beitragen sich neu zu positionieren, insbesondere im Tourismus?

Zudrell: Die Chance werden wir natürlich nützen. Pionier zu sein heisst ja nicht nur Risken einzugehen, sondern die erkannten Chancen auch zu nutzen. Dies wird und kann für die Gemeinde Silbertal ein weiteres Standbein mit einem Alleinstellungsmerkmal für die Zukunft werden.

Breuer: Konkret werden wir bereits in der heurigen Wintersaison neue Gästegruppen ansprechen, die ökologisch sensibilisiert sind und bisher noch nicht ins Silbertal gefunden haben. Und natürlich die vielen Stammgäste auf die Reise mitnehmen. Die sind da durchaus interessiert.

Was können andere Gemeinden vom Silbertal lernen?

Zudrell: Ich denke, es ist wichtig und richtig auch in Kleingemeinden wie das Silbertal, die Bevölkerung zu sensibilisieren, Bewusstseinsbildung zu machen, damit jeder einzelne dazu seinen Beitrag leisten kann. Warten wir den Herbst und Winter ab und stellen sie uns dann diese Frage nochmal.

Breuer: Ja etwas Zeit brauchen wir noch bevor, wir die ersten Erfahrungen weitergeben können. Im Herbst haben wir das erste Arbeitsjahr hinter uns, dann ist Zeit zu reflektieren. Die laufend miterhobenen CO2 Einsparungen schauen interessant aus, soviel können wir schon sagen.

Veröffentlicht am 17.09.2020