Interview mit Kira Vinke
Kira Vinke im Gespräch über Risiko-Multiplikatoren, ausbaufähige Mindsets und den zivilisatorischen Hebel.
Einen sehr positiven. Ich fand es spannend zu sehen, wie eine ressortübergreifende Initiative über mehrere Ministerien hinweg so umfassend und gleichzeitig zielgerichtet ist. Das große Netzwerk aus vielen engagierten Menschen, Initiativen und Unternehmen hat mich beeindruckt. Man merkt: Hier geht es um praxistaugliche Werkzeuge und Lösungen. Also genau darum, was wir als Gesellschaft brauchen, um Emissionssenkungen, Umwelt- und Klimaschutz weiter voranzubringen.
So genannte Risiko-Multiplikatoren oder „threat multiplier“ sind Faktoren, die nicht isoliert wirken, sondern beispielsweise die Entstehung von Konflikten begünstigen oder bestehende Spannung zusätzlich verstärken können. Der Klimawandel ist hier ein „Vorzeigebeispiel“ – im negativen Sinn. Mit Voranschreiten ergeben sich komplexe Sicherheitsrisiken auf verschiedenen Ebenen.
Schauen wir uns dazu beispielsweise Extremwettereignisse – wie Überschwemmungen, Dürren oder Stürme – an. Diese können enorme Schäden verursachen und als Konsequenz zu großen Ressourcenkonflikten führen, etwa wenn Wasserbestände oder Ackerflächen knapp werden. Dies wiederum kann nicht nur große Hungersnöte nach sich ziehen oder die allgemeine Versorgungssicherheit gefährden, sondern als direkte Folge ebenso Flucht- oder Migrationsbewegungen auslösen.
Ja, in Syrien führte eine mehrjährige extreme Dürre zu massiven Ernteausfällen und Migrationsbewegungen vor dem Ausbruch des Gewaltkonflikts. Solche Umstände sind für Gesellschaften und Staaten eine enorme Belastung, viele Regierungen versagen bei diesen Herausforderungen. Wenn dann steigendes Konfliktpotential auf ein ohnehin fragiles, polarisiertes und autokratisches politisches System trifft, steigen die Risiken für kriegerische Auseinandersetzungen. Letztlich ist der Entschluss, Gewalt anzuwenden, jedoch immer eine menschliche Entscheidung und keine Folge des Klimawandels. Im Fall Syriens hat der diktatorische Machthaber Assad nicht nur keine Antworten auf die Dürre gefunden, sondern auch die Protestbewegung blutig niedergeschlagen. Der Krieg nahm damit seinen Lauf.
Diese Betrachtung ist wesentlich – und hat noch weitere Ebenen. Etwa bei den Themen Geopolitik und Energieversorgung, wo es im Speziellen um Abhängigkeitsverhältnisse im Bereich fossiler Energieträger geht. Eine Diskussion, die wir in Europa seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine nur allzu gut kennen. Erneuerbare, regionale Energien kommen dabei nicht nur unserem Klima zugute, sondern sind ebenso in Sachen Energiesouveränität ein absoluter Schlüsselfaktor, der nachvollziehbar unsere Unabhängigkeit und damit Sicherheit erhöht. Die EU importiert aktuell etwa 97% ihres Erdölbedarfs und 88% des Gasbedarfs. Diese Abhängigkeit, teils von autokratischen Regimen, gilt es sukzessive zu verringern.
Unser Risiko-Mindset ist im Bereich Klima aktuell noch unterentwickelt. Auch wenn Ereignisse nur eine kleine Eintrittswahrscheinlichkeit haben, können Folgeschäden ein enormes Ausmaß erreichen. Um strategische Sicherheitsfragen rechtzeitig behandeln zu können, wird das Wissen über die Zusammenhänge von Klima und Sicherheit von zentraler Bedeutung sein. Im Katastrophenschutz etwa spielt das Konzept des „Forecast-based financing“ eine immer größere Rolle, wo schon im Vorfeld einer Krise Gegenmaßnahmen ergriffen werden, um diese abzufedern und weitere Konsequenzen vermeiden. Nicht zuletzt geht es beim Klimaschutz auch um die Vermeidung von horrenden Kosten, die ein Staat bzw. eine Gesellschaft im Anlassfall schultern müssen.
Ich kann hier nicht urteilen, die Herausforderungen waren enorm. Wichtig ist, dass man entsprechende Lehren daraus zieht, Verbesserungspotentiale identifiziert und mögliche Folgewirkungen beim nächsten Mal verringern kann. Dabei geht es auch um den zukünftigen Umgang mit vorher ungekannten Extremwetterereignissen. Resilienz und Redundanz von kritischer Infrastruktur sind zum Beispiel unerlässlich, das hat man im Bereich des öffentlichen Bahnverkehrs drastisch gesehen. Die benötigten Ressourcen bis zur Wiederaufnahme einzelner Streckenabschnitte waren außerordentlich.
Das ist richtig, die Folgen sind schon da. Trotzdem dürfen wir unsere Anstrengungen im Bereich Umwelt- und Klimaschutz deswegen nicht zurückfahren. Klimaschutz und Klimawandelanpassung sind zwei Seiten derselben Medaille. Um das zu sehen, reicht ein Blick in unsere Städte. Während der Bau energieeffizienter Gebäude oder umweltfreundliche Mobilitätslösungen den CO2-Ausstoß senken, sorgt eine angepasste Stadtplanung mit mehr Grünflächen und Schattenzonen langanhaltenden Hitzewellen vor. Damit wird deutlich, dass nur ein Zusammenspiel beider Ansätze Zukunftssicherheit schafft.
Wir überschreiten zunehmend unsere planetaren Grenzen – vom Klimawandel, über die Landnutzung bis zur Versauerung der Ozeane. Und die Verantwortung dafür liegt bei uns. Aber gerade, weil wir als Menschheit diesen großen Einfluss auf unseren Planeten haben, liegt der oftmals zitierte Hebel demnach in unserer Hand. Wir verfügen über zivilisatorische Fähigkeiten im Großen, genauso wie über innovative, erneuerbare Technologien im Kleinen, um wirksam zu sein. Wir sind nicht in einer Sackgasse, wir müssen nur konsequent umlenken und die Perspektive wechseln, dann erkennen wir die Lösungen, die vor uns liegen.