Unter dem Motto „Rad.Region.Bewegen – besser radeln in Alltag und Freizeit“ steht die Frage im Mittelpunkt, wie wir den Alltagsradverkehr in ländlichen und touristischen Regionen in Bewegung bringen, Synergien zwischen Freizeit- und Alltagsradverkehr bestmöglich nutzen und eine gemeindeübergreifende Radverkehrsplanung attraktiv gestalten können.
Am 3. und 4. Juni 2024 war die Salzburger Stadt Saalfelden Gastgeberin des 16. Österreichischen Radgipfels. Unter dem Motto „Rad.Region.Bewegen.“ diskutierten mehr als 300 Fachleute aus Österreich und Nachbarländern über praxisnahe Lösungen für die Mobilitätstransformation. Erstmals nahmen auch Schüler:innen an ausgewählten Workshops teil, um ihre Perspektive auf das Thema Mobilität einzubringen.
Bereits am Vorabend des Radgipfels wurde das Mobilitätslabor zukunftswege.at vorgestellt, gefolgt von einer Filmvorführung von „Cycling without age“ in Schloss Ritzen. Dabei wurde das zehnjährige Bestehen der Initiative „Radeln ohne Alter“ gefeiert. Unter der Leitung von Mitbegründerin und Vorstandsmitglied Elke Fitz ermöglicht die Initiative Senior:innen, durch Ausfahrten in Fahrradrikschas weiterhin aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und die Welt mit eigenen Augen zu erleben.
In seiner Videobotschaft zur Eröffnung der Konferenz betonte Mobilitätsminister Peter Hanke die zentrale Rolle des Radverkehrs für eine nachhaltige, gesunde und moderne Mobilität: „Wer das Fahrrad stärkt, stärkt das ganze Verkehrssystem.“ Wiebke Unbehaun, Abteilungsleiterin im Bundesminsiterium für Innovation, Mobilität und Infrastruktur (BMIMI), zeigte sich beeindruckt von der rasch wachsenden Radverkehrscommunity und lobte die gut ausgebauten Radwege und Radrouten in der Region Saalfelden Leogang. Salzburgs Landeshauptmann-Stellvertreter Stefan Schnöll appellierte an das Miteinander bei der Entwicklung von Verkehrslösungen und bedankte sich für die hervorragende Zusammenarbeit mit den Gemeinden, denn „es geht nur gemeinsam“. Saalfeldens Bürgermeister Erich Rohrmoser unterstrich die Bedeutung überörtlicher Radverkehrslösungen und sah großes Potenzial im Ausbau des Alltagradelns.
Martin Eder, Bundesradverkehrskoordinator im BMIMI präsentierte eine Evaluierung des „Masterplan Radfahren 2030“. Laut Umfrage sind mehr als 70 Prozent der Befragten überzeugt, dass der Masterplan als nationale Radverkehrsstrategie die Radverkehrsentwicklung in Österreich positiv beeinflusst hat. Dennoch bleibe viel zu tun. „Unser Schwerpunkt muss der weitere Ausbau sicherer Radwegenetze sein. Schließlich wollen wir unseren Kindern eine lebenswerte Welt hinterlassen – idealerweise auf dem Fahrrad“, so Eder.
Meredith Glaser vom Urban Cycling Institute der Universität Amsterdam brachte internationale Perspektiven ein. Sie betonte, dass erfolgreiche Radverkehrspolitik nicht einfach von den Niederlanden kopiert werden könne. Jedes Land brauche eine eigene Lösung – und zuvor einen Paradigmenwechsel: weg von der autozentrierten Planung, hin zu einer Denkweise, in der Radfahren selbstverständlich ist. „Eine solche Veränderung kann man nicht bequem von der Couch aus erreichen. Sie entsteht im Tun. Zusätzlich braucht es leistbare Fahrräder und eine sichere Infrastruktur. Dabei geht es nicht darum, jemandem Platz wegzunehmen, sondern den Menschen Platz zu geben.“
Katharina Gangl, Verhaltensökonomin vom IHS, zeigte anhand von Beispielen, wie soziale Normen und Vorbilder das Mobilitätsverhalten positiv beeinflussen können. „In bestimmten Situationen hilft es einfach nicht, durch reine Wissensvermittlung und Präsentation von noch mehr Zahlen, Daten und Fakten die Menschen zum Umdenken zu bewegen. Hier können wir soziale Normen und Vorbilder nützen, damit immer mehr Menschen intuitiv die richtige Wahl treffen. Wer zum Beispiel sieht, dass die Führungskräfte mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen, wird eher diesem Verhalten folgen“, so Gangl. Gute Anknüpfungspunkte für die Veränderung des eigenen Verhaltens sieht die Wissenschafterin in speziellen Lebenssituationen: „Menschen, die gerade ihren Wohnort wechseln und damit bereits in einer Veränderung sind, können leichter für eine Anpassung ihrer Mobilitätsgewohnheiten erreicht werden.“
Christoph Salzgeber, Mobilitätsbeauftragter der Vorarlberger illwerke vkw AG, verdeutlichte die Vorteile eines gut durchdachten Mitarbeitermobilitätsprogramms mit Angeboten wie Jobrad, Fahrradboxen und Jobtickets. Dies leiste nicht nur einen Beitrag zum Klimaschutz, sondern trage auch zur Motivation der Mitarbeiter:innen bei. Peter Kampusch, betrieblicher Gesundheitsmanager bei den Stadtwerken Klagenfurt und Projektleiter von BIKE2WORK, vermittelte neben Praxiserfahrungen auch eine große Portion Leidenschaft für das Thema „Dienstfahrrad statt Dienstwagen“.
Florian Paul, Radverkehrsbeauftragter der Stadt München, und Martina Wermuth, Corporate Influencerin im Mobilitätsreferat der Landeshauptstadt München, berichteten über die Umsetzung des Münchner Radentscheids 2019. Trotz breiter Unterstützung stieß das Projekt auf Widerstand: Gegner instrumentalisierten die Planungen, Medien verbreiteten Falschinformationen und die Debatte eskalierte – bis hin zu brennenden Baufahrzeugen an Radwegbaustellen.
Um dieser Negativkampagne entgegenzuwirken, setze Martina Wermuth auf eine positive Bildsprache: „Schöne Bilder von erfolgreich umgesetzten Radprojekten lassen sich schwer von Kritiker:innen instrumentalisieren. Wir haben den Bildern der Gegner eigene Bilder entgegengesetzt – darunter viele Vorher-Nachher-Bilder. Statt von Radverkehrsmaßnahmen haben wir von ‚Projekten für alle‘ gesprochen.“ Diese Erfahrung zeigt: Anfangs gibt es oft Empörung, doch am Ende finden es alle gut. Veränderung ist anstrengend, aber sie zahlt sich aus.
Kurt Fischer, Bürgermeister von Lustenau/Vorarlberg, brachte philosophische Ansätze in die Radverkehrsdebatte ein. Er setzt auf eine Balance zwischen großen Fernzielen und greifbaren Nahzielen, um kontinuierliche Fortschritte zu erzielen: „Ohne utopische Visionen und konkrete Maßnahmen entsteht eine ‚Wüste der Ratlosigkeit‘, und man bleibt in politischer Durchschnittlichkeit stecken.“
Neben bürger:innennaher Politik und Kommunikation spielt Vorbildwirkung eine entscheidende Rolle: Andrea Pabinger, Bürgermeisterin von Lamprechtshausen und bekannt als „Österreichs fleißigste fahrradfahrende Bürgermeisterin“, inspirierte das Publikum mit Best-Practice-Beispielen: „Schon kleine Einzelprojekte können Großes bewirken – zum Beispiel ein Workshop, in dem Kinder den Toten Winkel erklärt bekommen und hautnah erleben. Die Kinder dürfen dazu auf den Fahrersitz eines LKW klettern, sich alles anschauen und damit eine prägende Lernerfahrung machen.“ Ihr Fazit: „Veränderung braucht Beharrlichkeit und Inspiration.“
Zwischen den Keynote-Vorträgen gab es reichlich Gelegenheit für vielfältige Workshops, Breakout Sessions, Lokalaugenscheine und Formate wie Pecha Kucha. Die Themenpalette war breit gefächert und reichte von „Radwege ohne Stress“, „Kommunikation, die ankommt“ und „Gesunde Mobilität für alle“ bis hin zu „Rad & Rendite für die Wirtschaft“, „Radfahren von klein auf fördern“ und „Mulitmodale Lösungen für den Radalltag“.
Das offizielle Programm der Fachkonferenz wurde mit Fachexkursionen mit dem Fahrrad ergänzt. Mehr als 80 Teilnehmende erkundeten dabei die Stärken und Schwachstellen des Radnetzes in Saalfelden und informierten sich darüber, wie sich rund um das Saalfeldener Becken „Sichere Wege für alle digital schaffen“ lassen. Ein geplanter Workshop im Bikepark Leogang Asitzbahnen musste aufgrund von Schlechtwetter entfallen.
Auch abseits der Fachkonferenz gab es zahlreiche Aktivitäten rund ums Radfahren. Kinder konnten bei den Radworkshops der AUVA direkt vor dem Congress in Saalfelden auf einem eigens eingerichteten Parcours ihre Geschicklichkeit auf dem Fahrrad testen. Ein besonderes Highlight war die abendliche Radparade, bei der Rennräder, Nostalgierädern, Radrikschas und Bikes aller Art durch Saalfelden rollten und Konferenzteilnehmende und Bevölkerung zusammenbrachte. Zum Ausklang gab es ein Jazz-Konzert mit der legendären Band Shake Stew.
Damit die Mobilitätswende gelingt, braucht es viele Vorbilder. Zu diesen zählen auch die mehr als 60 klimaaktiv mobil Partner:innen, die im Rahmen des 16. Österreichischen Radgipfels ausgezeichnet wurden. Die prämierten Institutionen, Organisationen, Unternehmen und Mobilitätsexpert:innen aus ganz Österreich setzen sich aktiv für eine gesunde und klimaschonende Mobilität. Sie sparen durch ihre Maßnahmen jährlich mehr als 1.300 Tonnen CO2 ein.
Die Urkunden überreichte Wiebke Unbehaun vom BMIMI gemeinsam mit Michael Nendwich von der WKO, Martin Huber vom Österreichischen Gemeindebund und Bürgermeister Erich Rohrmoser. Mobilitätsminister Peter Hanke würdigte das Engagement der klimaaktiv mobil Partner:innen in einer Videobotschaft: „Der Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur ist ein wichtiger Hebel für mehr Verkehrssicherheit und Klimaschutz. Die ausgezeichneten klimaaktiv mobil Partner:innen zeigen, wie wir gemeinsam sichere und attraktive Bedingungen für Radfahrende schaffen können. Ihr Engagement macht klimafreundliche Mobilität für immer mehr Menschen zur Selbstverständlichkeit. Vielen Dank für Ihre wertvolle Arbeit!“