Eine zentrale Botschaft von Tim Gill ist, dass Kinder das Potenzial haben, „belastbar, verantwortungsbewusst, fähig und kreativ“ zu sein, wenn ihnen erlaubt wird, „Risiken einzugehen, Fehler zu machen, alltägliche Abenteuer zu erleben und sich selbst und ihre Grenzen zu testen.“ Allerdings hat der Radius, den Kinder heute selbstständig zurücklegen dürfen im Laufe der letzten Jahrzehnte enorm abgenommen. Das hat viel mit dem Aufkommen des Automobils und autozentrierter Stadtplanung zu tun.
Seine Mission ist es, Kindern (wieder) sichere und selbstständige Mobilität zu ermöglichen. Was es dafür braucht, hat Tim Gill beim Workshop für Kinder- und Jugendmobilität im Rahmen der Salzburger Verkehrstage anhand zahlreicher Praxisbeispiele aufgezeigt und mit den Teilnehmenden diskutiert. Allen voran braucht es seiner Meinung nach charismatische Personen mit Visionen. Tim Gill ist selbst ein gutes Beispiel dafür.
Die Dimensionen kinderfreundlicher Stadtplanung
Kinderfreundliche Stadtplanung kann, so Tim Gill, anhand von zwei Dimensionen bewertet werden: Die erste Dimension konzentriert sich auf die Mobilität von Kindern, insbesondere jene aus eigener Kraft („Children´s Mobility“). Die zweite Dimension ist die Anzahl und Art der Möglichkeiten im öffentlichen Raum („Things to do“). Dort, wo beide Faktoren in hohem Ausmaß vorhanden sind, kann man von einer kinderfreundlichen Stadt sprechen. Das genaue Gegenteil davon wäre das Eingesperrt-Sein in einer Zelle. Für kinderfreundliche Stadtplanung sollte in „Nachbarschaften“ gedacht und geplant werden, da dies auch der (eigenständige) Aktionsradius von Kindern ist.
Kinder auf der Straße: Ein Indikator für „healthy streets“
12 Städte weltweit, vor allem in Europa und Nordamerika, aber auch zwei brasilianische Städte hat Tim Gill hinsichtlich kinderfreundlicher Verkehrsplanung und Stadtgestaltung erforscht. Der ehemalige Bürgermeister von Bogotá, Enrique Peñalosa ist einer der Vorreiter kinderfreundlicher Stadt- und Verkehrsplanung. Er sagt: „If we can build a successful city for children, we will have a successful city for all people.” In diesem Sinne sind Kinder als „Indikatorspezies“ für Städte zu verstehen: Je mehr Kinder auf den Straßen alleine zu sehen sind, umso „gesünder“ ist das Umfeld für Alle. „ Der Freiburger Stadtteil Vauban ist in diesem Sinne ein nahezu „idealer“ Stadtteil, auf den fast alle Kennzeichen kinderfreundlicher Städte (bzw. Quartiere) zutreffen. Diese sind:
- Die Stadt (Siedlung / Nachbarschaft) ist kompakt sowie
- grün, lebendig und spielerisch.
- Es ist einfach, sich zu Fuß bzw. mit dem Fahrrad fortzubewegen („easy to get around“) und
- Menschen kümmern sich um Kinder, sind aufmerksam gegenüber Kindern (bzw. kümmern sich um ihre Umwelt in nachhaltigen Städten).
Alle vier Kennzeichen sind auch, mit leichten Abwandlungen, ebenso Kennzeichen nachhaltiger Städte.
Wie viel Umgestaltung braucht es für eine Änderung?
Auf die Frage angesprochen, ob es erst eine aufwändige Umgestaltung braucht und dann Veränderungen folgen oder diese Hand in Hand gehen meint Tim Gill, dass bereits Aktionen, wie gemeinsames Müll-Aufräumen, sogenannte Clean-up-Aktionen z.B. das Gefühl für die Verantwortungen für den eigenen Lebensbereich stärken und Nachbarschaften festigen. Gestaltung ist wichtig, aber die Stärkung lebendiger Nachbarschaften ist ebenfalls essentiell für kinderfreundliche Städte.
Rethinking Childhood & Urban Playground
Tim Gill gründete den Blog Rethinking Childhood im Juli 2011, um seine Gedanken und seine Arbeit zu teilen und mit anderen in der vernetzten, digitalen Welt in Kontakt zu treten. Auf Rethinking Childhood können Beiträge nach Themen wie Urbanismus, Bildung, kindliche Entwicklung und öffentliche Ordnung durchsucht werden.
Sein Buch „Urban Playground: How child-friendly planning and design can save cities“ wurde im Februar 2021 veröffentlicht. Es hat einen klaren Fokus auf Maßnahmen, die von Städten und Gemeinden umgesetzt werden können und stützt sich auf weltweite Fallstudien von Städten, die kinderfreundliche Stadtplanung ernst genommen und umgesetzt haben. In fast allen untersuchten Städten war der wichtigste Katalysator für Veränderungen eine Person in der Gemeinde. Eine Person mit einer klaren Vision, die aber auch mit Bürokratie umgehen kann und Dinge auf den Boden bringt.
Nationaler Masterplan Masterplan Kinder- und Jugendmobilität
In Österreich hat das Bundesministerium für Klimaschutz, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) mit der Erstellung eines nationalen Masterplan zu nachhaltiger und selbstständiger Kinder- und Jugendmobilität gestartet. Dieser Masterplan soll, wie die bereits bestehenden Masterpläne Gehen und Radfahren, als „Kompass“ für Wege in eine nachhaltige, aktive und klimafitte Zukunft dienen – und sich dabei ganz der Zielgruppe Kinder und Jugendliche widmen.
Zur Erstellung dieses Masterplans Kinder- und Jugendmobilität startete im Mai 2022 ein umfassender Beteiligungsprozess. Der zweite von drei thematischen Workshops findet am 08.11.2022 von 10:00 - 15:00 Uhr statt. Wir laden Sie als Expert:in herzlich zur Mitarbeit an der Entwicklung dieses zukunftsweisenden Masterplans ein!
Wir verlosen 2 Exemplare des Buches „Rethinking Childhood“ von Tim Gill unter allen Einsendungen, die bis zum 30.11.2022 uns ein Foto eines für sie kindgerechten Straßenraumes zusenden (unter Angabe des Erstellers, an die Emailadresse klimaaktivmobil@energyagency.at)